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von Dan » 13 Mai 2002, 19:16
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Damit sind wir bereits mitten in der Soziobiologie:
Sie ist die Wissenschaft von der biologischen Angepasstheit des tierischen und menschlichen Sozialverhaltens . Gerade die Untersuchung des zweiten Sozialverhaltens hat viele Kritiker auf den Plan gerufen, bricht der soziobiologische Diskurs doch radikal mit jeglicher Ausklammerung des Menschen aus den Beschreibungsweisen der Biologen und hebelt entgültig den historisch gewachsenen Gedanken einer Sonderstellung des Menschen innerhalb der lebendigen Natur aus. Auf der Grundlage der Soziobiologie werden ethologische Merkmale eines Organismus zu Merkmalen unter anderen: Verhaltensweisen des Menschen werden trotz gradueller Unterschiede als ebenso evolutiv geworden beschrieben wie rein anatomische oder physiologische Merkmale. Die Handlungsweisen von Mensch und Tier beschreibt die Soziobiologie als von unbewußten fitnessmaximierenden Bestrebungen geleitet . Die Phänotypen sind letztlich nichts weiter als Überlebensmaschinen , Vehikel der Replikatoren, der Gene, mit deren Hilfe diese versuchen, sich selbst zu reproduzieren. Die heute vorherrschenden Verhaltensstrategien sind demnach das Produkt eines indirekten Konkurrenzkampfes der Gene um Ressourcen für die eigene Reproduktion; diejenigen genetischen Programme, die diesem Imperativ in der Vergangenheit nicht folgten, sind bereits aus dem Genpool verschwunden. Vor allem unter Rückgriff auf spieltheoretische Modelle versucht die Soziobiologie zu zeigen, daß die beschriebenen Verhaltensweisen quasi-rationalen Strategien der Fitnessmaximierung folgen.
Dabei möchte die Soziobiologie der Breite, Komplexität und Variabilität der Verhaltensweisen der Organismen insofern Rechnung zu tragen, als sie weder einen simplen genetischen Determinismus vertritt, d.h., daß die Umwelt grundlegend an der Konstitution des einzelnen Individuums beteidigt ist, weil durch diese die jeweilige Realisation der zugrundeliegenden Programme vollzogen wird, noch, daß die quasi-rational handelnden Individuen ohne Umwege ihr Bedürfniss nach Ressourcen befriedigen was empirisch vor allem bei Menschen schlechte Grundlagen hätte. Vielmehr werden Handlungen als Kompromisse beschrieben; nichtsdestoweniger geht es um die langfristig optimale Verhaltensstrategie. Diese Überlegungen mit dem von Hamilton eingeführten Begriff der Gesamtfitness zusammengebracht, der den bereits eingeführten Terminus Fitness dahingehend präzisiert, daß er ihn in direkte, d.h., den individuellen Fortpflanzungserfolg, und indirekte Fitness, das ist die Unterstützung der eigenen Verwandten, die je nach Nähe der Verwandtschaft mehr oder weniger der eigenen Gene teilen, unterteilt, kann die Soziobiologie Phänomene wie radikalere Formen des Altruismus, z.B. die Selbstopferung eines Menschen für einen Artgenossen, beschreiben, die vormals mit dem Genegoismus nicht vereinbar erschienen. Altruistisches Verhalten muß sich letztlich wie jedes andere Verhalten für seinen Träger lohnen, sonst hätte es sich nicht durchsetzen können; damit verbunden ist das Problem der Kompatibilität verschiedener Verhaltensweisen innerhalb einer Population, das im Rahmen der Spieltheorie diskutiert wird .
Bei der Anwendung auf den Menschen interessieren sich Soziobiologen nicht dafür, was die jeweiligen Individuen als Gründe für ihr Handeln angeben, sondern sie versuchen unter Rückgriff auf ihre Beschreibungsmethoden plausibel zu machen, daß sich hinter dem Rücken der Subjekte auch heute noch die Imperative der genetischen Programme relational zu den jeweiligen Umwelten realisieren.
Wie kann aber nun dieser, vom Paradigma des Genegoismus geprägte Diskurs Verhaltensweisen, wie etwa Alarmrufe von Vögeln, erklären, die damit den Artgenossen die Präsenz eines Räubers signalisieren? Im Zuge der Bestrebung, die Erklärungsmöglichkeiten des eigenen Paradigma auszuweiten, ist von Zahavi und Zahavi die These vertreten worden, daß die Signale weniger den Artgenossen, als vielmehr dem Räuber gelten. Da ihr sogenanntes Handicap Principle eine der argumentativen Grundlagen für Millers Text darstellt, sollen die Grundgedanken im folgenden kurz vorgestellt werden.
2.2. Expansion des Paradigmas: Das Handicap Principle
Nach anfänglicher Skepsis zeichnet sich mittlerweile ab, daß die Theorie des Handicap Principles in einigen Lagern des biologischen Diskurses zwar kritisiert wird, insgesamt aber an Geltung gewinnt. Was also ist der Kern des Handicap Principles?
Zahavi illustriert die Theorie anhand der Prellsprüngen der Gazelle : Die fast unsichtbar grasende Gazelle beginnt urplötzlich auf- und abzuspringen, als sich ein Räuber nähert. Hätte sie sich nicht bewegt, wäre der Räuber vielleicht vorbeigezogen; in jedem Fall wäre es zunächst plausibler gewesen anzunehmen, daß die Gazelle die Flucht ergreifen sollte anstatt Zeit und Energie mit den ziemlich unsinnig anmutenden Sprüngen zu verschwenden. Nur ist diese Energie im Zuge der Handicap-theorie nicht wirklich verschwendet: Gerade weil das Springen fälschungssicher Zeit und Energie, die andererseits für eine Flucht hätten verwendet werden können, verbraucht, ist es ein verläßliches Signal für den Räuber, daß diesen informieren soll, daß er entdeckt worden ist. Zugleich illustriert die Gazelle mit ihrem Verhalten, daß sie es sich leisten kann, Energie und Zeit zu verschwenden, daß dem Räuber also eine wahrscheinlich ergebnislose Jagd bevorstünde, die ihn nichts als Ressourcen kosten, aber wohl nicht die erhoffte Beute einbrächte. Das Verhalten der Gazelle ist nach Meinung Zahavis ein Kommunikationsakt zwischen potentieller Beute und Räuber, der - anthropomorph gesprochen - einem gemeinsamen Interesse entspringt, daß sich nämlich Beute und Räuber eine ressourcenverschlingende Jagd ersparen. Der Kommunikationsakt kann allerdings nur funktionieren, wenn das Signal fälschungssicher ist, und damit es fälschungssicher ist, muss es den Akteur mit hohen Kosten belegen. In dem Fall der Gazelle ist das leicht zu illustrieren: Eine vollkommen erschöfte Gazelle wäre überhaupt nicht in der Lage, hohe und energieverschlingende Sprünge zu vollziehen.
Damit diese Form der Kommunikation zustande kommt, muss eine direkte Beziehung zwischen dem Signal und der Botschaft bestehen, die durch die entstehenden Kosten auf seiten des Akteurs gewährleistet wird.
Auf der Basis des Artselektionsparadigmas ist derartiges Verhalten meist als Warnverhalten zum Nutzen der Artgenossen beschrieben worden. Wie Zahavi anhand der Beobachtungen von Vögeln, den Babblern, plausibel machen kann, stellen sich der Explikation des Verhaltens ausschließlich als Alarmrufe einige Probleme in den Weg: Bei der Nahrungsbeschaffung dieser Vogelart hält mindestens ein Individuum in einer Baumkrone Ausschau nach potentiellen Räubern. Taucht nun ein solcher auf, stößt der Vogel anhaltende Rufe aus, und nicht selten kommt es vor, daß sich seine Artgenossen zu ihm gesellen und ebenfalls Rufe ausstoßen . Dieses Verhalten wäre unter dem Blickwinkel der Warnruf-Hypothese schwierig zu erklären, zumal die Rufe in den meisten Fällen bereits ausgestoßen werden, wenn eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Räuber die gut getarnten Vögel überhaupt nicht bemerken wird. Zudem: Wenn bereits fast alle Vögel auf dem Baum sitzen, wem soll dann der Warnruf gelten? Hätte die natürliche Selektion nicht ein subtileres Warnverhalten hervorbringen müssen?
Die Grundidee von verschwenderischen und deswegen ehrlichen Signalen buchstabiert Zahavi nun in verschiedenen Kontexten außerhalb der Räuber-Beute-Interaktion durch: Im Zuge unserer Diskussion ist vor allem die Frage nach ehrlichen Signalen bei der Partnerwahl relevant. Als häufiges Beispiel muß der Pfauenschwanz herhalten, der für traditionelle Beschreibungsweisen aufgrund seiner scheinbaren Nutzlosigkeit und dem großen Handicaps, mit dem er den Träger belegt, ein Problem darstellt. Im Zuge der sexuellen Selektion möchte Zahavi ihn allerdings als phänotypisches Merkmal verstehen, das auf die Qualität des zugrundeliegenden Genotyps verweist. Das Signal ist in dem Sinne ehrlich, als daß der Pfau damit unter anderem anzeigen kann, trotz dieses Handicaps überlebt zu haben. Als mögliche Indikatoren für good genes werden unter anderem Fütterung, Terrotorialverhalten, vokale Signale, Farben, Gerüche und Artefakte diskutiert, die in diesem Sinne allesamt eine Indikator-Funktion haben.
An letzter Stelle richtet Zahavi den Blick auf den Menschen und versucht eine Applikation seiner Theorie auf menschliche Merkmale. Zwei Aspekte interessieren uns an diesem Versuch: Zahavis Äußerungen zur menschlichen Sprache und die Überlegungen zur Kunst .
Entgegen non-verbaler Kommunikationsakte im Tierreich, mit denen nach Meinung Zahavis jeweils durch die Umstände determinierte, klare kommunikative Bedeutungen transportiert werden können, ist die symbolische Kommunikationsform der Menschen in ihrer Kodierung emotionaler Gehalte weit weniger eindeutig. Die Reliabilität des im Kommunikationsakt transportierten Gehaltes ist zudem durch nichts gewährleistet.