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von Sinclair » 05 Okt 2006, 00:07
Wahrlich ein guter Artikel im Spiegel! Gute und kritische Fragestellung vor allem! Nur der Schluss der Aussagen von Bassam Tibi ist unreflektierter Bockmist! Deutschland mit Frankreich oder gar den USA vergleichen geht nicht, und das weiss jeder Mitteleuropäer!
Was hat der Herr Tibi denn von der hiesigen Gesellschaft erwartet, als er damals in Deutschland blieb?
Zitat: "Deutschland kann den Fremden keine Identität anbieten, weil sie selber kaum eine haben."
Was heisst hier Identität? Der kleinste gemeinsame Nenner? USA: BBQ, Bud Light und Stars and Stripes?; Frankreich: die sakrosankte Sprache, Baguette und die Idee der Grande Nation?
Und was heisst hier "anbieten"? Wer sagt, dass hier Fremden was geboten wird? Als gebildeter Mensch sollte der Herr aus Syrien mittlerweilen gemerkt haben, dass die Geschichte hier in deutschen Landen anders verlaufen ist. Kein grosses Kolonialreich. Kein Import von Sklaven oder Einheimischen aus den überseeischen Gebieten! Deutschland hat sich nie als Einwanderungsland definiert. Und auch heute wartet hier keiner darauf, dass die Leute aus allen Ecken und Enden der Welt kommen um die lokale Kultur zu "bereichern" oder das Blut aufzufrischen. Im Gegenteil!
Dazu kommt: Deutschland war nie ein einheitliches Staatsgebilde. Hierzulande definiert keine zentralstaatliche Instanz (die Académie Francaise lässt grüssen) per Dekret was "deutsch" ist und was nicht! Hier wird im Gegenteil Wert darauf gelegt, dass eine grosse Vielfalt von gewachsenen (germanischen) Traditionen und Mentalitäten gelebt werden die dann schliesslich in der Summe das Gesamtbild der "Nation"prägen.
Exkurs zur Ami-Identität: nach modernster Sprachregelung gilt nur noch als guter Amerikaner, wer, keine Frage zum Irak-Krieg stellt und bei den nächsten Wahlen die GOP wählt. Soviel, Herr Tibi, zu den USA.
Dazu kommt: Deutschland und die Deutschen suchen nach den Katastrophen von 1914 - 1945 ein neues Selbstbewusstsein. Aber nicht ein "deutsches" und auch kein globalisiertes, sondern ein europäisches! Das heisst, das man sich vor allem auf Europa konzentriert und ausrichtet. (Ist das schon Rassismus?)
Im Rahmen dieses Prozesses der Europäisierung spielt die Hinwendung zur eigenen Region, zum historisch gewachsenen Kulturkreis, welchem man sich zugehörig fühlt, eine herausragende Rolle. Für mich, als Schweizer Alemanne, ist es z.B. wichtig und wegweisend, dass sich die Leute hier am Hochrhein grenzübergreifend auf die gemeinsamen Werte und Stärken besinnen, die uns damals im späten Mittelalter, bevor die Idee der Nation geboren wurde, so stark gemacht hatten. Durch die Stärkung der einzelnen Regionen wird wiederum Europa als Idee gefestigt. Für den Einzelnen ist diese Regionalisierung, die im wesentlichen durch gemeinsame Sprache (Dialekt, Mundart) definiert wird, viel wichtiger, als die Globalisierung. Dieser Prozess schafft Identität!
Und nun kommt Herr Tibi, der kein Gefühl der Zugehörigkeit spürt? Nach 40 Jahren noch kein Deutscher? Sorry, aber "Deutschtum" ist irrelevant! Der Herr Professor ist halt kein Niederbayer, kein Hesse, kein Tiroler, er ist nicht Berner noch Hanseate oder Elsässer und er wird es auch nach 100 Jahren nicht sein!
Mehr als akzeptiert werden liegt für Leute aus anderen Kulturkreisen hier nicht drin. Und solange er das nicht kapiert, ist er in diesem Teil von Europa fehl am Platz!
Sinclair
Je älter ich werde, umso besser war ich früher.